Offener Brief der Seebrücke Hameln

Liebe Vertreterinnen und Vertreter der politischen Parteien,

das Thema Migration und Flucht ist eine zentrale Herausforderung, bei der wir leider feststellen müssen, dass die bisherige Politik oft nicht den humanitären Ansprüchen gerecht wird und viel zu sehr auf Abschottung und Abschiebung setzt.

Besonders besorgniserregend sind die Asylrechtsverschärfungen, die in den letzten Jahren umgesetzt wurden. Diese Maßnahmen führen zu einer weiteren Verschlechterung der Situation für Schutzsuchende: Sie erschweren den Zugang zum Asylverfahren, kürzen Rechtsmittelmöglichkeiten und setzen auf schnellere Abschiebungen, oft auch in unsichere Herkunftsländer. Solche Verschärfungen sind nicht nur menschenrechtswidrig, sondern auch kontraproduktiv, weil sie Fluchtursachen ignorieren und das Leid der Betroffenen vergrößern.

Der vorgelegte Koalitionsvertrag setzt diesen Kurs leider aus unserer Sicht fort. Statt einer echten humanitären Flüchtlingspolitik sehen wir weiterhin eine Tendenz zur Verschärfung der Abschiebepraxis, zur Begrenzung von Schutzangeboten und zur Abschottung Europas. Statt eine offene und solidarische Gesellschaft zu fördern, werden immer wieder restriktive Maßnahmen verschärft, die Menschen in Unsicherheit und Armut stürzen. Das ist nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch eine politische Fehleinschätzung, da es die gesellschaftliche Spaltung vertieft und die Integration erschwert.

Wir fordern die politischen Parteien auf, endlich Verantwortung zu übernehmen und konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Dazu gehört eine deutlich bessere Aufnahmepolitik, die Geflüchteten Schutz und Perspektiven bietet, anstatt sie in Unsicherheit und Armut zu lassen. Es ist unerlässlich, Fluchtursachen aktiv zu bekämpfen, etwa durch eine gerechtere Handelspolitik, Entwicklungszusammenarbeit und die Bekämpfung von Krieg und Armut in den Herkunftsländern.

Darüber hinaus sehen wir die aktuelle Praxis der Abschiebungen und restriktiven Asylgesetze kritisch. Diese Maßnahmen sind oft menschenrechtswidrig und führen zu weiteren Traumatisierungen der Betroffenen. Stattdessen brauchen wir eine offene, solidarische Gesellschaft, die Menschen in Not aufnimmt und ihnen eine Chance auf ein neues Leben gibt.

Die Seebrücke steht für eine offene, solidarische Gesellschaft, in der Menschen in Not Schutz und Unterstützung finden. Wir bitten Sie dringend, Ihre Politik entsprechend zu korrigieren und sich für eine humane, gerechte und nachhaltige Flüchtlingspolitik einzusetzen – im Sinne der Menschen, die auf der Flucht sind, und im Interesse einer Gesellschaft, die Menschlichkeit ernst nimmt.

 Mit kritischen, aber hoffnungsvollen Grüßen 

Ihre Seebrücke Hameln

Places of Isolation

ANKUNFTSZENTRUM BAD MÜNDER // 17 km
Hier werden bis zu 340 Menschen untergebracht, die als geflüchtete Menschen in den Landkreis Hameln Pyrmont kommen um Schutz zu suchen. Zum Teil werden sie dem Landkreis durch die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen zugewiesen. Hier wohnen Menschen die noch keine Wohnung bekommen haben.

ANKUNFTSZENTRUM UNSEN // 7,5 km
Hier werden ebenfalls Menschen untergebracht, die als geflüchtete Menschen in den Landkreis Hameln-Pyrmont kommen.

FLUGHAFEN LANGENHAGEN // 55 km
Abschiebeflüge Weitestgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit werden auch vom Flughafen Hannover-Langenhagen Menschen in Länder abgeschoben, in denen Krieg und Hunger herrschen oder in denen sie verfolgt werden. Der Flughafen ist ein zentraler Punkt der deutschen Abschiebelogistik. Beispiel: Am 6. Juli 2021 wurden insgesamt 27 Männer wurden nach Afghanistan abgeschoben. unter ihnen ein junger Mann, der seit 2015 in Celle gelebt hatte. Und wer profitiert dabei? Die Flughäfen und Flugunternehmen mit so schönen Namen wie Privilege Style, Sundair oder Wamos Air. Abschiebungen gibt es auch auf normalen Linienflügen, ganz vorne dabei ist die Lufthansa.

MITTELMEER / LAMPEDUSA // 1900 km
25.000 Tote bei Flucht über das Meer Knapp 190 Kilometer trennen die Küstenstadt Sfax in Tunesien und die italienische Insel Lampedusa. Obwohl die Fahrt hochgefährlich ist, wagten zuletzt sehr viele Migrant:innen weiterhin die Überfahrt. An zwei Tagen im März 2023 kamen über 3.000 Menschen auf diesem Weg nach Europa. Schon seit Jahren fliehen Menschen aus den Krisenregionen der Welt über das Mittelmeer nach Europa. 2022 gelang dies 150.177 Migrant:innen. Aber: Jedes Jahr werden über 1.000 Menschen als vermisst oder verstorben registriert. 2022 starben oder verschwanden laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) mehr als 1.940 Menschen. Seit dem 2014 sind bis zum März 2023 mehr als 26.141 Geflüchtete im Mittelmeer ertrunken. Seit 2015 operieren zivile Seenotrettungsorganisationen im zentralen Mittelmeer. Mehr als 3500 Menschen konnten sie nach eigenen Angaben 2020 aus Seenot retten. Doch ihre Arbeit immer stärker durch politische Maßnahmen behindert. Die Bundesregierung plant gerade eine Änderung der Schiffssicherheitsverordnung (SchSV), was für die Mehrheit der zivilen Seenotrettungsschiffe unter deutscher Flagge bedeuten würde, dass sie ihre lebensrettende Arbeit einschränken oder einstellen müssen.

POLEN – BELARUS // 911 km
Gewaltsame Zurückweisung An der polnisch-belarussischen Grenze drängen polnische EU-Beamt:innen rechtswidrig Schutzsuchende zurück nach Belarus. Die belarussische Regierung wiederum schickt Flüchtende an die EU-Grenze, um den Konflikt mit der EU weiter eskalieren zu lassen. Sowohl die EU als auch Belarus tragen damit ihren Konflikt auf dem Rücken von schutzbedürftigen Menschen aus und begehen Menschenrechtsverletzungen. – Die Lage der Flüchtenden im Grenzgebiet Polen zu Belarus ist katastrophal. Sie werden weder vor- noch zurückgelassen und sitzen in Wäldern fest. Von vielen wird der gesundheitliche Zustand immer kritischer, etliche Personen sind bereits gestorben bzw. getötet worden. Polen hat in der Grenzregion einen Ausnahmezustand verhängt, um Menschenrechtler:innen und Journalist:innen einen Zugang zu dem Gebiet zu verwehren. Wer den Geflüchteten helfen will, setzt sich der Gefahr aus, eine Strafe wegen Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt oder gar wegen Menschenschmuggels zu bekommen.

LAGER AUF LESBOS u.a. 2.297 km
Menschenunwürdige Unterbringung Es ist eine wesentliche Strategie der europäischen Abschottungspolitik, Geflüchtete möglichst nah an den Außengrenzen festzuhalten. Ein politischer Aspekt, der das begünstigt, sind die sogenannten Dublin-Regeln. Sie besagen, dass jener Staat, in dem Geflüchtete erstmals registriert werden, für deren weiteres Asylverfahren zuständig ist. Griechenland als einer der Grenzstaaten ist für viele Geflüchtete zuständig. Viele von ihnen werden in menschenunwürdigen Camps auf den ägäischen Inseln festgehalten. Durch die Verschleppung von Verfahren und lange Verfahrensdauer sitzen Menschen zum Teil über Jahre auf den Inseln fest. Die Lager sind darüber hinaus vielfach auf wesentliche geringere Zahlen von Menschen und auf kurze Aufenthalte ausgelegt. – Ein besonders extremes Beispiel stellt das Lager Moria auf Lesbos dar. Es war für 2800 Menschen konzipiert worden, teilweise lebten dort aber bis zu 16 000 Menschen unter katastrophalen Zuständen. Nachdem Moria 2020 bei einem Großbrand zerstört worden war, versprach die EU „No More Morias“. Tatsächlich aber bestehen die Lagerstrukturen auf den ägäischen Inseln fort. Die Lebensumstände dort sind charakterisiert durch unzureichende Nahrungsversorgung, sehr schlechte medizinische Versorgung und katastrophale hygienische Zustände. Eine besorgniserregende Entwicklung ist auch, dass es sich bei neu gebauten Camp-Strukturen (etwa auf der Insel Samos) um Hochsicherheitslager mit gefängnisartigen Zuständen handelt. – Die menschenunwürdigen Zustände in den Lagern sind gewollt und ein bewusstes Element der europäischen Abschottungs- und Abschreckungspolitik. Es handelt sich nicht um eine „humanitäre Katastrophe“, sondern um die Folgen gewollter politischer Entscheidungen. Inzwischen gibt es sogar Gerichtsurteile, die bestätigen, dass die Bedingungen in den Lagern gegen Menschenrechte verstoßen.

CALAIS /// 588 km
Geflüchtete versuchen nach England zu gelangen Als “Dschungel von Calais” wurde eine Zeltstadt mit provisorischen Unterkünften nahe der französischen Stadt Calais bezeichnet, in der im August 2016 mehr als 9000 Migrant:innen kampierten mit der Hoffnung auf eine Möglichkeit zur Weiterreise durch den Eurotunnel nach Großbritannien. Im Oktober 2016 wurde das Flüchtlingslager brutal geräumt und dann offiziell geschlossen. Bis heute allerdings sammeln sich geflüchtete in der Region und versuchen, mit Schlauchbooten den Ärmelkanal zu überqueren – und geraten dabei oft in Seenot; im Jahr 2022 waren es knapp 46.000 sogenannte Bootsmigrant:innen. Die britische Regierung ist nicht bereit, die Geflüchteten aufzunehmen und beabsichtigt, sie nach Ruanda zu deportieren. Die britische und die französische Regierung vereinbarten kürzlich, den Kampf gegen “unerwünschte Migration” zu verstärken.

CEUTA und MELILLA // 2.307 km
Meterhohe Sperranlagen Spanien hat zwei Exklaven in Nordafrika: Ceuta und Melilla. Dort verlaufen die einzigen Festlandgrenzen der EU mit Afrika. Flüchtende und Migrant/-innen versuchen immer wieder, die hohen Grenzzäune zu überwinden. Seit 2005 umfasst das Grenzsicherungssystem zwei parallele, jeweils sechs Meter hohe Zäune, die zudem mit Bewegungsmeldern, Scheinwerfern und Überwachungskameras ausgestattet sind. Seit 2015 gibt es in Spanien ein Gesetz, wonach Drittstaatsangehörige, die beim illegalen Grenzübertritt entdeckt werden, unmittelbar zurückgewiesen werden können. Flüchtlingshilfsorganisationen kritisieren dies als völkerrechtswidrige Pushbacks, also Zurückweisungen, bei denen den Betroffenen nicht die Möglichkeit gegeben wird, Asyl zu beantragen. Recherchen lokaler und internationaler Nichtregierungsorganisationen belegen, dass Pushbacks oft mit schweren Misshandlungen einhergehen.